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Erfahrungsberichte

Angst – der stille Besucher

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Foto: JK Fotografie

Unsere Gastautorin Jana Knuth hat sich eines wichtigen Themas angenommen und wir danken ihr für ihre Offenheit in den sehr persönlichen Teilen des Artikels. Es geht um die Angst. Sie erzählt, in welchen Momenten rund ums Pferd sie auftauchen kann. Und wie sie es geschafft hat, sich von ihr nicht die Freude am Reiten und das tiefe Glücksgefühl der innigen Verbindung mit dem Pferd nehmen zu lassen.

 

Lieber nicht drüber reden

Ein flaues Gefühl in der Magengegend, Übelkeit, kaltes Schwitzen, Zittern, das Gefühl nicht atmen zu können. Jeder kommt wohl früher oder später mal in eine Situation, in der er Angst hat, sich hilflos fühlt. Aber kaum jemand redet darüber. Dabei ist Angst ein Warnsystem unseres Körpers. Es ist ein Sicherheitsmechanismus, der uns vor Situationen bewahren soll, die uns schaden. Angst kann bewusst oder unbewusst entstehen.

Die Sache mit dem Spiegel

Gerade im Umgang mit dem Pferd bekommen wir unmittelbar Rückmeldung von unbewusster Angst. Denn Pferde spiegeln unsere Gefühle und unser Verhalten. Als Flucht- und Herdentiere sind sie besonders darauf sensibilisiert, Anspannungen und auch Angst wahrzunehmen.

Kindliche Unbefangenheit ist der Gegenspieler zur Angst. Hier spiegelt das Pferd Gelassenheit und Vertrauen, was spielen Größenverhältnisse da für eine Rolle? Keine. Foto: ©iStockphoto.com/Foto_Y

Nimmt man nun hinzu, das die Angst des Reiters auf das Pferd übertragbar ist, kann man erkennen, wie wichtig der Umgang des Reiters mit seiner eigenen Angst ist. Durch ehrlichen Umgang mit sich selbst können Gefahrensituationen gemieden oder abgemildert werden.

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass sich realistische Gefahrensituationen für den Menschen ergeben können, wenn das Pferd zum Beispiel in Panik gerät. Sie können ohne weiteres das Zehnfache an Gewicht ihres Reiters aufbringen, sie sind größer und schneller und könnten sich notfalls mit Zähnen und Hufen zur Wehr setzen.

Warum also wird über Angst nicht offen gesprochen?

Weil Angst nach wie vor in der Gesellschaft als Schwäche angesehen wird. Schon als Kinder haben wir gelernt, dass Helden mutig sind und nie Angst haben. Als Erwachsene schämen wir uns, wenn wir offenbaren, dass wir schwach sind. Egal wie oft wir uns versichern, dass jeder mal Angst hat – Angst ist für uns ein Makel. Und so entwickeln die meisten Menschen genau davor Angst – nämlich Angst zu haben.

Sie sind uns so sehr gewogen, diese großen, edlen Geschöpfe. Doch es braucht Vertrauen. Von beiden Seiten.  Foto: Karen Pagnia

Hinzu kommt, dass wir als Reiter meistens in der Gruppe unser Hobby ausüben, sei es in der Reitstunde oder beim gemeinsamen Ausritt. In der Gruppendynamik bildet sich meistens schnell heraus, was „normal“ ist. Sei es eine bestimmte Höhe in der Springstunde oder ein Tempo auf der meistens festgelegten Galoppstrecke. Und der eine, der noch nicht so weit ist, will nicht die Gruppe aufhalten oder sich durch seine Angst ausgrenzen.

Oft hat man auch das Gefühl, wenn man jetzt spricht, verpasst man seine Chance. Und damit bringt man nicht nur sich selbst, sondern eventuell die ganze Gruppe in Gefahr. Heißt es doch: Tempo und Gangart richten sich nach dem schwächsten Reiter/Pferd. Ich meine damit zum Beispiel, wenn man seine Angst verschweigt, entsprechend von der Gruppe überschätzt wird und dann die Kontrolle verliert. Gerade im Gelände kann es gefährlich werden, wenn ein Pferd unkontrolliert losstürmt, die anderen ansteckt oder gar in ein anderes Pferd rennt. Ich selbst habe schon erlebt, dass so etwas auch als Rangkampf zwischen den Pferden enden kann.

Ein entspannter Ausritt kann für Reiter und Pferd ein wunderbares Naturerlebnis sein. Foto: ©iStockphoto.com/photokostisch

Wie kann ich als Reiter mit meiner Angst umgehen?

Einfacher gesagt als getan: Ehrlich sein zu sich selbst. Dazu hilft zunächst einmal, tief bis in den Bauch einzuatmen und – ganz wichtig – auch genauso tief wieder auszuatmen. Das lockert erst mal die Anspannung. Und dann überlegen:

  • Was genau macht mir gerade Angst?
  • Schaffe ich das, was gleich auf mich zukommt?
  • Will ich das tun?

Wer kann und will, wird an diesem Punkt schon die Entscheidung treffen, dass er es tut. Und dabei weniger Angst haben. Wer bei einer der Fragen unschlüssig ist oder sie klar mit Nein beantwortet, darf nun vor allem folgendes tun: Egoistisch sein. Zu seiner eigenen Sicherheit. Es erfordert viel Mut, auszusprechen, dass man etwas nicht tun will oder kann, das von einem erwartet wird. Aber gerade dieses Formulieren der eigenen Angst ebnet den Weg, sie letztendlich zu überwinden.

Kaum einer bewältigt seine Angst ganz allein. Sich Hilfe zu holen, ist immer ein guter Weg. Und bedenkt immer eines: Ihr seid nicht allein mit eurer Angst.

Im Folgenden möchte ich Situationen beschreiben, in denen Reiter Angst bekommen können. Es sind Situationen, die ich selbst erlebt und kennengelernt habe.

1. Angst im Umgang mit dem Pferd

Irgendwann kommt wahrscheinlich jeder einmal an ein Pferd, dem er nicht gewachsen ist. Bei mir war es das Schulpferd M. „Der ist so cool mit Kindern, einfach total brav“, schwärmte meine Reitlehrerin. Und ich lernte sehr schnell, dass diese Eigenschaft, zumindest was das Putzen anging, auch wirklich nur auf kleine Kinder zutraf. Und auf meine Reitlehrerin.

Genau in diesen Situationen muss das Vertrauen da sein … das Pferd nähert sich freundlich, möchte nur knabbern und nicht beißen. Foto: JK Fotografie

Als ich das erste Mal beim Hufe auskratzen einen schmerzhaften Biss in den Oberschenkel kassierte, hieß es noch, ich solle mich nicht so anstellen und halt das Pferd kürzer anbinden. Doch das half nicht viel.

Beim Reiten selber war alles toll, doch vorher … vorher hatte ich immer Bauchschmerzen. Ich war ängstlich, angespannt, hektisch. M. legte immer öfter die Ohren an, schnappte immer öfter. Und irgendwann rutschte mir die Hand aus. Wenn man panische Angst hat, bahnt sie sich einen Weg. An diesem Tag war M. danach erstaunlich brav. Aber die Wochen darauf wurde es immer schlimmer. Wir stachelten uns gegenseitig immer weiter hoch. M. fing irgendwann an, auf mich loszugehen, wenn ich die Box betrat – aber nur, wenn ich alleine war.

Besser wurde meine Angst erst, als ich wieder ein anderes Pferd ritt. Aber ich habe daraus gelernt: Gewalt ist keine Lösung. An dem Tag, an dem mir die Hand ausrutschte, hatte ich bei M. verloren. Durch den Umgang mit anderen Pferden wurde ich wieder sicherer, lernte gewaltlos konsequent und bestimmt zu sein.

Vertrauen zwischen Mensch und Pferd kann sich aufbauen und mit der Zeit immer tiefer werden Foto: JK Fotografie

Und lernte ebenfalls, als ich später ein ähnliches Pferd traf, dass das Stallpersonal die Pferde am besten kennt und die besten Tipps parat hat. Und auch, dass man von selbst bestimmter an ein Pferd herangeht, wenn man einfach fünf Minuten zu spät dran ist und keine Zeit hat, zimperlich zurückzuzucken. Dann hilft ein einfaches „Nein“ und weiterputzen.

2. Angst zu fallen

Die Angst vor dem Sturz vom Pferd ist eine klassische Angstsituation für viele Reiter. Jeder kommt wohl irgendwann einmal in die Situation, dass der Boden plötzlich näher kommt und man sich fragt: Fallen oder oben bleiben um jeden Preis? Und manchmal, da weiß man einfach, dass man es zwar etwas hinauszögern kann, aber trotzdem fällt. Ich bin mal beim Aufwärmen mit den Knien vor die Pauschen gerutscht. Die Aufgabe hieß, Ohren des Pferdes anfassen. Nur hatte mein Pferd die Nase auf dem Boden und ich rutschte immer weiter hinterher. Dann habe ich mich fürs Fallen entschieden.

Als Kind bin ich immer ins Bodenturnen gegangen. Ich habe es gehasst. Aber hier kam es mir zugute: Ich habe mich über die Schulter des Pferdes abgerollt und bin sogar auf meinen Füßen gelandet. Sei es bei meinen ersten Bucklern, meinen ersten Stürzen im Gelände oder beim Springen, ich habe mich immer abgerollt. Weil ich auf das Abrollen trainiert war. Und die Angst wird geringer, wenn man weiß, wie es geht und dass man sich nur ein paar blaue Flecken und dreckige Klamotten holt.

Tipp gegen die Angst zu fallen:

Wenn ihr die Möglichkeit habt, besucht Falltraining. Wird bei euch keines angeboten, könnt ihr im Judo Falltechniken und beim Bodenturnen Rollen vorwärts, rückwärts und seitwärts lernen. Viele dieser Vereine bieten kostenlose Schnupperstunden an. Fremdgehen lohnt sich in diesem Fall.

3. Angst vor Kontrollverlust

Sehr lange wusste ich nicht, dass ich Angst vor Kontrollverlust habe. Ehrlich gesagt über fünf Jahre lang nicht, bis ich den Stall wechselte und eine neue Reitlehrerin es mir sagte. Angst vor Kontrollverlust ist eine typische unbewusste Angst.

Loslassen lernen

Wurde das Pferd nur etwas schneller, als ich wollte, bin ich in mich zusammengefallen, habe mich nur noch am Zügel festgeklammert und gezerrt. Was natürlich ziemlich kontraproduktiv war. Ich musste lernen loszulassen.

Das Schulpferd S. blockierte ständig in der Schulter und neigte zum Buckeln. Also hieß es, im Trab vorwärts zu reiten. Ich bin innerlich tausend Tode gestorben – aber ich hatte mich dafür entschieden. Denn ich wollte diese Angst vor der Geschwindigkeit, vor dem Kontrollverlust, überwinden. Und erst als ich lernte loszulassen, konnte ich das Tempo wieder regulieren. Es dauerte lange – Monate, bis mir die Geschwindigkeit nichts mehr ausmachte.

Erst ich, dann das Pferd

Später verstand ich, dass diese Angst trotzdem noch da ist. Aber loszulassen war der erste Schritt. Ich muss mich nur jedes Mal neu daran erinnern, dass ich erst innerlich loslassen muss, bevor ich meinem Pferd zeigen kann, dass es ebenfalls loslassen kann und nicht weglaufen muss.

Welche Übungen helfen können

Übergänge zu reiten hat mir hier sehr geholfen. Wenn es zu schnell wurde, habe ich das Pferd durchpariert. Durch Tempowechsel im Galopp habe ich gelernt, auch im Gelände nicht panisch zu werden, wenn der Moment zwischen Geschwindigkeitsrausch und Kontrollverlust kommt.

Angst vor Kontrollverlust hatte ich auch beim Springen. Wenn die Sprünge mir zu hoch wurden und ich glaubte, dass ich die Landung nicht schaffe, habe ich blockiert. Und jedes Pferd, das ich ritt, mit mir. Eine Rückkehr zu den Grundlagen hat mir bisher immer geholfen. In diesem Fall Galoppstangen, Cavalettis und Gymnastikreihen.

Wenn das Herz des Reiters nicht voraus gesprungen ist, tut auch das Pferd sich schwer mit dem Absprung.  Oft landet der Reiter auf den Füßen und dann ist es ganz wichtig für das (Selbst)vertrauen, wieder aufzusitzen, sich zu sammeln und einen neuen Anlauf zu nehmen. Im Training kann der Reitlehrer die obere Stange dann herunter legen, um es dem Reiter etwas leichter zu machen, sich zu überwinden. Foto: ©iStockphoto.com/inshot

4. Angst vor der Angst des Pferdes

Meistens trifft sie den Reiter unvorbereitet – die Angst des Pferdes. Eben sind wir noch gemütlich am langen Zügel im Gelände geritten, doch ganz plötzlich merken wir die Anspannung des Pferdekörpers unter uns. Und blitzartig verspannen auch wir, denn wir sagen uns selber den Ablauf voraus: Gleich wird gescheut, eventuell sogar durchgegangen. Statt Ruhe zu bewahren und durch unsere eigene Entspannung dem Pferd zu vermitteln, dass wir als Ranghöhere da oben alles unter Kontrolle haben.

Einmal hat eine Reitlehrerin zu mir gesagt, Absitzen sei keine Lösung. Heute ist meine Einstellung dazu: Doch, kann es sein. Und zwar in folgender Konstellation: Wenn beide, Pferd und Reiter, eine solide Grundausbildung am Boden erhalten und gelernt haben, dass der Mensch ranghöher ist und somit Sicherheit gibt. Auf dem Rücken kann ein verängstigter Reiter keine klaren Hilfen mehr für das Pferd geben.

Fühlt er sich auf dem Boden tatsächlich sicherer, kann er für das Pferd wieder ein ernst zu nehmender und zu respektierender Partner sein. Aus Sicherheitsgründen sollte der Mensch sich dann immer zwischen dem Pferd und der Gefahr befinden, damit er im Falle einer panischen Flucht nicht unter die Hufe des Pferdes kommt.

Anmerkung der Redaktion: Es ist auch eine Frage der Erfahrung und Sattelfestigkeit des Reiters und auch der Rittigkeit des Pferdes. Ist beides gegeben, kann versucht werden, die Blickrichtung des Pferdes abzuwenden und schenkelweichartig bzw. im Schulterherein an der Gefahrenquelle vorbeizureiten.

Angst kann überwunden werden – Beispiel Sprinkleranlagen

Mein Pferd hatte panische Angst vor den Sprinkleranlagen, die unsere Bauern zum Bewässern der Äcker benutzen. Natürlich schlecht, wenn man mitten in einem Ackergebiet steht.

Dieses Bild ist von schlechter Qualität und lange her, aber es zeigt, wie wir früher mit der Angst vor den Wassersprengern gekämpft haben. Foto: Sabine Wembacher

Ein Seil, das lang genug ist, ist hier Gold wert. Das größte Problem war, mein Pferd auf mich zu fokussieren, d.h. es aus seiner Schreckstarre oder der Flucht herauszuholen. Stop and go war angesagt, den Sprinkler ignorieren und simples Schritt gehen und ganze Paraden üben. Das lange Seil hat mir erlaubt, einen erschreckten Sprung zuzulassen, das Pferd aber sofort wieder zu mir herumzuholen, bevor es durchstartet.

Auch weiteres Gelassenheitstraining hat geholfen, ihm beizubringen, gruseligen Dingen schneller mit Neugier zu begegnen.

Es hat fast drei Jahre gebraucht, aber heute können wir sogar an Sprinkleranlagen vorbeitraben. Ohne dass sich mehr als ein Ohr in die Richtung des Sprinklers bewegt. Geduld und der Ehrgeiz, es immer wieder zu versuchen, hat letztlich auch meine Angst, wie ich mit meinem Pferd in solchen Situationen umgehen soll, verringert.

Hilfe suchen bei Personen, die Erfahrung mit der Angst haben

Es gibt Probleme, die kann man alleine nicht lösen. Hilfe kann man sich immer bei seinem Reitlehrer holen. Dazu muss der Reitlehrer aber auch wissen, was das Problem ist. Es gibt nur zwei Gründe, aus denen der eigene Reitlehrer nicht helfen kann: Er versteht dein Problem nicht oder er hat das nötige Spezial-Wissen nicht, um dir zu helfen. Reitlehrer sind auch nur Menschen. Kein Reitlehrer ist perfekt, er ist menschlich. Im ersten Fall kann ein Gespräch helfen herauszufinden, was du brauchst. Im zweiten Fall könnt ihr Ideen sammeln und Kontakt mit anderen aufnehmen, die mehr Erfahrung in der Richtung haben. In jedem Fall ist aber darüber Reden ein wichtiger Grundstein für das Überwinden der Angst. Niemand kann Gedanken lesen – aber sie können ausgesprochen werden.

Gib dir Zeit

Angst ist nicht innerhalb von einer Woche oder zwei überwunden. In den meisten Fällen, in denen ich Angst hatte, hat es Monate gedauert. Oft kam ich auch an den Punkt, an dem ich mich gefragt habe, ob ich das noch will und ob es sich überhaupt lohnt. Auch nach vielen Jahren und vielen Situationen, in denen ich Angst überwunden habe, komme ich immer wieder an meine Grenzen.

Tief einatmen, genauso tief ausatmen.

Gemeinsam Glücksmomente erleben. Foto: JK Fotografie

Ein Sommertag, ein Moment, der einfach nur perfekt ist. Wenn ich das Gefühl habe, ich fühle dasselbe wie mein Pferd. All das lasse ich mir nicht von Angst kaputtmachen.

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