Foto: Laura Held
ErfahrungsberichteGesundheit

Tagebuch einer Hufrehe

image_pdfDruckversion

Dieser Beitrag wurde am 14.04.2019 geupdated

Wenn Du diesen Artikel bereits gelesen hast, kommst du hier zum neuesten Eintrag in diesem Tagebuch.

Inhaltsverzeichnis

24. August 2018. Die Diagnose.

Irgendwie hatte ich es im Gefühl. Nach ihrem schweren Sehnenschaden im Sommer 2015 hatte ich mit meiner bereits 26 Jahre alten Haflingerstute Goldy schon einen langen Weg beschritten. Doch entgegen aller Prognosen erholte sie sich langsam, aber stetig. Wir konnten sogar wieder Schritt reiten und oft schaute ich mein Pferd an und konnte mein Glück gar nicht fassen.

Mein tapferes Mädchen. Immer an meiner Seite. Foto: JK Fotografie

Meine Vorahnung

Trotzdem war da dieses ungute Gefühl, so ein Bauchkribbeln, das mich durch den Sommer begleitete und von dem ich nicht sagen konnte, was es auslöste. Vor meinem Urlaub konnte ich mich kaum von Goldy trennen, fuhr sogar kurz vor meinem Aufbruch zum Flughafen nochmal in den Stall. Da stand mein Pony, augenscheinlich putzmunter und frech wie immer. Aber meine Nervosität blieb.

Am vorletzten Urlaubstag bekam ich dann einen Anruf der Sorte, wie ihn jeder Pferdebesitzer fürchtet. Noch dazu, wenn man gerade auf einer Insel mitten im Atlantik sitzt. Goldy könne vorne rechts nicht mehr auftreten, hieß es. Der Huf sei heiß und sie leide offensichtlich Schmerzen.

Die eilig herbeigerufene Notfalltierärztin vermutete ein Hufgeschwür, da die Symptome einseitig und plötzlich auftraten. Auf diesen Verdacht hin wurde zunächst auch behandelt. Doch auch nach ein paar Tagen zeigten der Rivanol-Angussverband und auch die Medikamente keine Wirkung. Eine Röntgenaufnahme sollte nun Klarheit bringen.

Meine Panik

Das Wort „Hufrehe“, das zu meinem persönlichen Unwort des Jahres werden sollte, kam schwarz auf weiß und von einer Minute auf die andere in mein Leben. Als Röntgenbild auf meinem Smartphone-Display, auf dem selbst ein tierärztlicher Laie sieht, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmt. Und als bedauernde Stimme der Tierärztin an meinem Ohr, die nicht verbergen konnte, wie wenig Hoffnung sie hatte.

Fast 30 Grad Hufbeinrotation rechts auf dem akuten Huf. Links auch schon 12 Prozent, wenn auch noch symptomfrei. „Wenn das Hufbein durchbricht, muss es schnell gehen. Dann müssen wir sie innerhalb weniger Stunden erlösen.“ Diese Worte der Tierärztin klingen noch in meinen Ohren.

Ich schaffte es noch, einen Termin für ein weiteres Röntgen mit meinem eigentlich betreuenden Tierarzt (Gemeinschaftspraxis) zu vereinbaren, die vorläufige Medikation zu besprechen und ein Zugticket nach Hause für den nächsten Morgen zu buchen. Dann überkam mich die pure Verzweiflung und mit ihr eine Panikattacke, der ich nichts entgegensetzen konnte.

Meine Verantwortung

Eigentlich ist man in einer solchen Situation verpflichtet, seinem Pferd zuliebe einen klaren Kopf zu behalten, stark zu sein und rational zu handeln. Denn man trägt die Verantwortung für ein Tier, muss in dessen Sinne entscheiden.

Der Mensch fühlt nun einmal Herz über Kopf und es sind diese hilflosen Momente, in denen Liebe am schwersten zu ertragen ist. Wenn sie sich in Schmerz verwandelt und in blanke Angst. Angst vor dem Leid, Angst vor Verlust, aber beinahe mehr noch vor dem Unbekannten.

Es war ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle. Ich fühlte mich ohnmächtig und unfähig, eine wohlüberlegte Entscheidung treffen. Denn obwohl ich seit 17 Jahren reite und bis dato immer glaubte, ein für einen Freizeitreiter recht solides Grundwissen zu besitzen – über die Hufrehe wusste ich kaum etwas. Nur, dass sie tückisch ist und oft tödlich endet. Zum zweiten Mal fürchtete ich um Goldys Leben und diesmal standen die Chancen um einiges schlechter.


Teil 2:

Ende August / Anfang September 2018. Alles wird anders. Auf der emotionalen Achterbahn

Ich packte also meinen Koffer und fuhr am nächsten Morgen in die Heimat. Ungewiss, was mich dort genau erwarten würde. Glücklicherweise hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch Semesterferien und konnte in Hamburg dank der Unterstützung meines Freundes alles stehen und liegen lassen.

Ohne den uneingeschränkten Rückhalt, das Verständnis und die tatkräftige Hilfe meines Partners, meiner Familie und meiner Stallgemeinschaft, hätte ich diese Situation nicht meistern können.

Zumal ich meine Souveränität vollkommen eingebüßt hatte und noch immer keinen klaren Gedanken fassen konnte. Einerseits wollte ich nichts anderes, als den ganzen Tag bei Goldy sein. Andererseits konnte ich ihr sichtbares Leid kaum ertragen. Ich kenne mein Pferd so gut, dass ich oft meine, sie zu spüren. Ihre zusammengebissenen Zähne, die verkrampften Nüstern und der konzentrierte, abwesende Blick. Das zu sehen und ihr nicht helfen zu können, war reinste Folter für mich.

Wie soll ich  jemals die richtige Entscheidung treffen können?

Jeder Pferde- und Tierbesitzer kennt dieses Gefühl, dass man den Schmerz gerne abnehmen und selber tragen würde. Hinzu kam die Ungewissheit, wie es weiter gehen sollte. Wie bei einigen anderen schwerwiegenden Krankheit im Umgang mit Pferden auch, gibt es bei der Hufrehe das Phänomen der zehn Leute und elf Meinungen.

Jeder rät in bester Absicht etwas anderes. Zum Teil gibt es sogar vollkommen widersprüchliche Ansichten. Die meisten klingen auch noch für sich genommen gut begründet. Ein Beispiel dafür ist die Hufbearbeitung, die bei der Rehe eine zentrale Rolle einnimmt. Sie kann tatsächlich den Ausschlag geben, ob ein Pferd es schafft oder nicht.

Unterstützung durch Schwarmintelligenz

Direkt nach der Diagnose hatte ich mich in einer großen Facebook-Gruppe zum Thema Rehe angemeldet, deren Hilfe ich auch keinesfalls missen möchte. Schließlich stand ich der Krankheit anfangs vollkommen hilf- und ahnungslos gegenüber. Die Gruppe wird von erfahrenen Admins geleitet und ich habe mich dort schnell über die wichtigsten Eckpunkte informieren können. Habe manchen guten Rat und aufbauendes Wort dort erhalten.

Das Gefühl, in dieser bedrohlichen Situation nicht allein zu sein, ist schon einmal viel wert. Zudem ist die „Schwarmintelligenz“ in solch großen Gruppen häufig hilfreich. Trotzdem war ich mehrmals kurz davor, die Gruppe wieder zu verlassen, denn diese Meinungsvielfalt kann auch dafür sorgen, dass man kaum noch fähig ist, eine Entscheidung zu treffen. Zum Thema Hufbearbeitung gehen die Ansichten unglaublich weit auseinander. Die einen raten zum Rehebeschlag, andere wiederum schreiben, dies sei das Todesurteil und die einzig wahre Lösung liege in der Barhufbearbeitung.

Immer wieder Unsicherheit und Angst

Meine ohnehin riesige Panik, eine falsche Entscheidung zu treffen, wuchs dadurch ungemein und ich saß oft genug in Tränen aufgelöst vor dem Laptop. Ich haderte mit mir selbst und machte mir Vorwürfe. Nicht genug, dass ich die Rehe bei meinem eigenen Pferd nicht frühzeitig erkannt hatte. Nein, jetzt war ich nicht einmal imstande, die beste Entscheidung für Goldy zu treffen.

Schnell per Hand gepinselt und die Futterluke damit verschlossen. Foto: Jessica Köbe

Ich hatte einfach das Gefühl, nicht genug Wissen, nicht genug Erfahrung und nicht genug Weitsicht zu besitzen. Nie zuvor hatte ich mich so schuldig gefühlt wie in dieser Zeit. Ich habe Fehler gemacht und bei zahlreichen Entscheidungen kann ich bis heute nicht sagen, ob sie richtig waren. Eine gute Freundin schrieb mir: „Du warst in der Pflicht, eine Entscheidung treffen zu MÜSSEN.“ So banal es klingen mag, es stimmt. Der Verzicht auf eine Entscheidung ist keine Option und auf jeden Fall die schlechteste Wahl.

Vertrauensperson Tierarzt und Hufschmied

Einen der vielen Wege muss man einschlagen. In irgendetwas muss man vertrauen, zu Dingen aktiv ja oder nein sagen. Wohlwissend, dass es auch falsch sein kann. Das war definitiv eine der härtesten Lektionen für mich. Entscheiden, obwohl man sich nicht zu einhundert Prozent versichern kann, in etwas oder jemanden vertrauen und demjenigen das Schicksal meines Pferdes, das ich mehr als alles andere liebe, in die Hände zu legen.

Ich versuchte so gut es ging, alles abzuwägen.  Mir ein Bild zu machen und mein von all den Zweifeln zum Schweigen gebrachtes Bauchgefühl zu befragen. Letztlich kam ich zu dem Entschluss, meinem langjährigen Tierarzt sowie einem neuen, aber mit Rehepferden zum Glück erfahrenen Schmied zu vertrauen.

Ersterer kennt mein Pony seit Jahren. Er hat große Fachkenntnis und ich weiß, dass er sich mit aller Kraft für seine Patienten einsetzt und in ihrem Sinne entscheidet. Mit ihm sind wir schon einmal gut durch stürmische Zeiten gekommen. Letzteren habe ich erst kurz nach der Diagnose kennengelernt und er erwies sich als Glücksfall. Außerdem arbeiten Schmied und Tierarzt Hand in Hand.

Emotionale Achterbahnfahrt

Trotz allem sind Zweifel und Selbstkritik geblieben. Ich kann nicht aufhören, meine Entscheidungen bis ins Detail infrage zu stellen und lasse mich leicht verunsichern. Wahrscheinlich ist das ganz normal, es geht schließlich um das Wohl meines Pferdes. Dennoch ist es emotional sehr anstrengend.


Teil 3:

Gefühlschaos, Tränen und verbotene Gedanken

‚Emotionen‘ ist ein weiteres Stichwort, das ich mit dieser Akutphase des Reheschubs verbinde. Sein Pferd leiden zu sehen, das trifft jeden liebenden Pferdebesitzer ins Mark. Noch dazu, weil ein Tier so unmittelbar leidet, nicht weiß, wie ihm geschieht.

Eine schwere Hufrehe, wie in Goldys Fall, bedeutet tatsächlich akute Lebensgefahr. Es besteht die Möglichkeit, dass das Hufbein durch die Sohle bricht oder das Pferd nicht aus dem Schub kommt. Dann werden die Schmerzen zu groß und nicht mehr zu ertragen.

Ich habe den Gedanken an die Sterblichkeit meines Pferdes immer verdrängt, da er für mich so angstbesetzt ist, dass ich ihn nicht einmal zu Ende denken kann. Seit ich 10 Jahre alt bin, ist Goldy ein zentraler Bestandteil meines Lebens. Wer wäre ich ohne sie? Wie könnte es weitergehen? Darauf weiß ich keine Antwort.

Außerdem verbietet man sich diese Fragen, denn für mich scheinen sie wie ein schlechtes Omen. Aber sie kommen unweigerlich und mit ihnen all die Angst, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Für mich ist klar, dass ich meine Goldy niemals allein lassen werde und dass ich die Stärke aufbringen will, jeden Weg mit ihr zu gehen. Trotzdem tun diese Gedanken unendlich weh.

Jeder geht anders damit um und das ist auch vollkommen in Ordnung. Ich für meinen Teil bin (leider) nicht nur nah am Wasser gebaut, sondern lebe – um in der Metapher zu bleiben- quasi mitten im Teich. Vor allem wenn es um Goldy geht.

Angst, Trost und Zwiegespräche

Bislang war ich dem Grundsatz „Keine Tränen beim Pferd“ einigermaßen treu geblieben, zumindest wenn es ihr schlecht ging. Dazu kennt sie mich zu gut, weicht mir dann nicht mehr von der Seite, als wollte sie mich trösten. Aber eigentlich war sie ja krank und brauchte Trost.

Während dieser intensiven ersten Wochen des Reheschubs gelang es mir nicht immer, stark zu bleiben. Mir halfen an dieser Stelle die Mädels meiner Stallgemeinschaft sehr. Ich lernte unseren Zusammenhalt noch einmal mehr schätzen. Es tut einfach gut, wenn einen jemand bei der Hand nimmt, während man zitternd auf Röntgenergebnisse wartet. Oder tatkräftig hilft, mal eben zwei Tonnen Sand in eine Pferdebox zu schaufeln.

Ich bin dankbar für die Hilfe in schweren Zeiten. Foto: Laura Held

Die Gedanken ein bisschen ordnen und zur Ruhe kommen konnte ich am besten bei Goldy in der Box. Sie war durch Schmerzen und Medikamente recht in sich gekehrt, aber ähnlich wie bei ihrer vorherigen Verletzung hatte ich den Eindruck, dass sie Gesellschaft und Zuwendung trotzdem genießt. Vielleicht mutet es etwas übertrieben oder melodramatisch an, aber während dieser gemeinsamen Stunden führten wir eine Art stilles Zwiegespräch, dessen Inhalt sich in etwa so zusammenfassen lässt:

„Bleib bei mir, wenn du kannst. Aber sag mir, wenn du gehen möchtest.“

Sie genau zu beobachten und viel Zeit mit ihr zu verbringen, half mir, nach Tagen und Wochen der Panik, das Vertrauen in meine Intuition Stück für Stück wiederzuerlangen.

Unsere Zwiegespräche.

 

Untersuchungsergebnisse und erste Behandlung

Das Akutstadium eines Reheschubes ist in jeglicher Hinsicht eine Ausnahmesituation, in der sofort gehandelt werden muss. Für mich waren die zahlreichen Termine, Umstrukturierungen und Tätigkeiten rund ums Pferd nervenaufreibend. Aber zugleich auch ein Segen. Sie gaben mir das Gefühl, etwas tun zu können und so eine gewisse Kontrolle über die Dinge zu haben.

Nach meiner Ankunft zu Hause hatten wir zunächst einen weiteren Röntgentermin, bei dem es festzustellen galt, ob sich die Position des Hufbeins weiter verändert. Von diesen Bildern hing also ab, ob Goldy eine Chance haben kann, denn bei ihrer ohnehin bereits drastischen Rotation gab es nicht mehr viel Spielraum.

Zum Glück war bislang keine Nachrotation eingetreten, sodass die Einschätzung unseres Tierarztes überraschend positiv ausfiel. Er sah noch keinen Grund, sie aufzugeben, da sie sich trotz aller Schmerzen tapfer hielt und sich schon einmal aus einer nahezu aussichtslos scheinenden Lage herausgekämpft hatte. Freilich hing ihr Leben am seidenen Faden, aber nach all den Hiobsbotschaften der vergangenen Tage war das ein Funken Hoffnung, an dem man sich festhalten konnte.

Schmied und Tierarzt waren gemeinsam zum Termin erschienen und entschieden, dass Goldy für die nächsten zehn Tage von den Rehepolstern auf Gipse umgestellt werden sollte, die die Hufe polstern, entlasten und schützen sollten. Außerdem bekam sie Medikamente zur Schmerzlinderung, Entzündungshemmer sowie einen Magenschutz.

Wir haben in unserem Fall sehr gute Erfahrungen mit dem Schmerzmittel Finadyne gemacht und uns für die gesamte Behandlungsdauer für die Gabe von magenschützendem Gastrogard entschieden. So konnten wir eine Kolik aufgrund der hohen Schmerzmitteldosen verhindern und Goldy behielt ihren Appetit.

Anderes Futter, andere Box – Veränderungen für Pferd und Mensch

Eine Hufrehe bedeutet auch immer eine dauerhafte und drastische Veränderung der Fütterung. Jegliches Futter, das Zucker oder viel Energie enthält, ist für Rehepatienten tabu. Das bedeutet in den meisten Fällen eine reine Heu-Diät, portioniert und über den Tag verteilt. Zum Beispiel aus Heunetzen. Die Pferde sollen angehalten werden, möglichst lange und gleichmäßig zu fressen.

Rehegipse und Sandboden. Das Heunetz bietet Beschäftigung und Ernährungsumstellung Foto: Laura Held

Goldy hat die Heunetze sofort gut angenommen, das stundenlange Rupfen bedeutet für sie auch Ablenkung. Müsli, Karotten, Äpfel, Leckerli und dergleichen wurden – ebenso wie Gras – ersatzlos gestrichen. Das war zunächst ungewohnt, aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass es uns Menschen schwerer fällt, dem Pferd nichts zuzustecken, als den Pferden darauf zu verzichten.

Auch die Box musste verändert werden. Bisher stand Goldy auf Stroh, da sie zu den Pferden gehört, die mit Wonne Sägespäne fressen. Und zwar allen gängigen Gegenmaßnahmen zum Trotz. Außerdem sind Späneboxen zumeist nicht tief genug eingestreut für ein Rehepferd. Der Tierarzt schlug einen Boden aus mindestens 10-12 cm trockenem Sand vor. Wir setzten diesen Vorschlag  um und nur wenig später kippte ein LKW zwei Tonnen Spielsand vor den Stall.

Diese eher unkonventionelle Art der Einstreu war für Goldy genau richtig. Sie konnte ihre Hufe eingraben wie es für sie angenehm war und zudem recht weich liegen. Ich habe mich dazu entschieden, sie weiterhin auf Sand stehen zu lassen. Jeden Tag wird gründlich abgeäppelt und im Wochenrhythmus etwa die Hälfte des Sandes ausgetauscht, damit sie tief genug steht und es trocken und sauber hat.

 


Teil 4

Ursachenforschung. Was war eigentlich schiefgelaufen?

Es war nun außerdem meine dringliche Aufgabe, Ursachenforschung zu betreiben. Denn nur wenn man weiß, woher die Rehe kommt, hat man eine Chance, den Schub zu beenden und Rückfälle zu vermeiden.

Meine Goldy … so viele Jahre gehen wir schon durch Dick und Dünn … hier stand sie geduldig Model für das Hufglück Pferdefrisuren-Tutorial. Foto: Laura Held

Hufrehe ist nicht gleich Hufrehe – zahlreiche Auslöser kommen in Frage. Futterrehe, Medikamentenrehe, Vergiftungsrehe, Belastungsrehe und Stoffwechselkrankheiten sind nur ein paar davon. In meinem Fall brachte ein Bluttest Gewissheit. Goldy war unbemerkt an der Stoffwechselstörung „Equines Cushing Syndrom “ erkrankt.

Die Antwort: ESC

Ihr ACTH Wert im Blut war auf 256 angestiegen, normal sind Werte zwischen 20 und 50. Da weitere Symptome nur sehr schwach ausgeprägt oder gar nicht vorhanden waren, hatte sich die Krankheit erst durch den plötzlichen Reheschub zum Ausdruck gebracht. Goldys Stoffwechsel war aus dem Gleichgewicht geraten.

Typisch für Cushing in Verbindung mit Hufrehe sind die eher schleichenden Veränderungen in den Pferdehufen, die schmerzlos bis schmerzarm verlaufen. So war es möglich, dass ich nichts bemerkt hatte und Goldy sogar bei unseren Ritten im Schritt keinerlei Anzeichen zeigte, bis plötzlich von einem Tag auf den anderen nichts mehr ging.

In den folgenden Wochen wurde langsam die Behandlung mit dem Wirkstoff Pergolid begonnen, besser bekannt unter dem Arzneimittelnamen „Prascend“. Es muss eingeschlichen werden, da die Nebenwirkungen sehr stark ausfallen können. Zum Glück reagierte Goldy anfangs nur mit Müdigkeit nach der Medikamentengabe. Dies hat sich aber mittlerweile nach einem halben Jahr Behandlung stark gebessert. Auf die tägliche Tablette wird sie allerdings ihr Leben lang angewiesen sein, um den Stoffwechsel konstant zu halten.

Warum ich mir Vorwürfe mache

Cushing war also eine Ursache für die Hufrehe, an der ich wenig hätte ändern können. Allerdings hätte ich viel eher reagieren müssen, was Goldys Hufsituation betraf. Unser vorheriger Schmied hatte über zwei Jahre lang ausgesprochen gut gearbeitet, die Qualität seiner Bearbeitung ließ aber im letzten halben Jahr vor der Rehe deutlich nach. Trotz mehrfacher Hinweise meinerseits ließ er für meinen Geschmack die Zehe zu lang, sodass die Bearbeitungsintervalle eigentlich zu lang wurden.

Außerdem wurde meine sonst so brave Goldy beim Beschlagen immer unwirscher, begann sogar zu steigen. Ich hatte kein gutes Gefühl, aber meine Bedenken wurden seitens des Schmieds vom Tisch gewischt. Die richtige und notwendige Reaktion hätte ein sofortiger Wechsel sein müssen, aber ich war zu zaghaft, da mir dieser Schmied nach dem Sehnenschaden zwei Jahre zuvor sehr fachkundig geholfen hatte. Nun hatte ich ein schlechtes Gewissen, die Zusammenarbeit zu kündigen.

Aus Fehlern lernen … keine falsche Rücksichtnahme mehr

Diese falsche Rücksichtnahme war ein schwerer Fehler meinerseits, der gänzlich zulasten meines Pferdes ging und den ich mir kaum verzeihe. Die zu lange Zehe erzeugte eine Hebelwirkung, die das Abreißen des Lamellensystems im Huf verstärkte. Vielleicht hätte man durch eine fachgerechte Bearbeitung in den Monaten zuvor den Reheschub sogar verhindern können.

Umso mehr achte ich nun auf die Bearbeitung und bin sehr froh, dass mein neuer Hufschmied gemeinsam mit meinem Tierarzt und immer nach den neuesten Röntgenbildern arbeitet. Anfang September 2018 sollten die Gipse durch einen orthopädischen Rehebeschlag ersetzt werden. Da Goldy zu diesem Zeitpunkt noch im Schub war, arbeiteten wir mit Schmerzmittel und viel Zeit. An diesem Tag, dem 05 September, entfernten wir die Gipse, die bisher Erleichterung verschafft hatten.

Die Gipse werden entfernt. Foto: Laura Held

Unser erster Beschlag war ein sogenannter „Rock and Roll Beschlag“, der aus einem geschlossenen Alueisen mit Erhebungen besteht. Das verändert den Abrollpunkt und die Zehe wird entlastet. Zusätzlich wird mit Silikon und Leder unterfüttert, um den Huf optimal zu polstern. So werden die betroffenen Stellen entlastet und das Gewicht umverteilt, damit das Pferd besser laufen kann.

Erster Rehebeschlag am 05.09.2018 Fotos: Laura Held

Um Rehebeschläge gibt es viele heiß geführte Diskussionen und ich war sehr unsicher. Aber auch hier denke ich, es kommt auf das einzelne Pferd mit seiner individuellen Situation an – Pauschalurteile führen kaum weiter. Goldy war ihr Leben lang vorne beschlagen, sie kennt es also nicht, barhuf zu gehen. Außerdem konnte sie ohne Gipse und Eisen noch nicht einmal richtig auf dem Huf stehen, geschweige denn gehen.

Wir wagten also den Beschlag und das Ergebnis war positiv. Sie konnte sofort besser laufen und belastete die Vorderhufe im Stehen gleichmäßig! Vorher hatte sie ständig das Gewicht von dem einen auf den anderen Huf verlagert. In den Tagen danach begannen wir langsam damit, das Schmerzmittel auszuschleichen und tatsächlich kam Goldy Stück für Stück aus dem akuten Schub.


Teil 5:

Oktober 2018 bis heute

Das Ende des akuten Schubes war ein Meilenstein für uns.  Langsam wagte ich aufzuatmen und ein bisschen Hoffnung zu schöpfen. Die unmittelbare Lebensgefahr war vorüber, denn auch die Röntgenbilder von Anfang Oktober 2018 zeigten keine Nachrotation.

Natürlich ist ad hoc keine Verbesserung zu sehen, allerdings besteht durch den Beschlag und die regelmäßige Bearbeitung der Hufe die Chance, dass die Hufwand innerhalb eines guten Jahres parallel herunterwächst und die zerstörte Lamellenschicht wieder mehr oder weniger repariert. Inwieweit das angesichts der enormen Rotation und Goldys Alter möglich ist, bleibt jedoch weiterhin abzuwarten.

Wie geht es weiter – immer wieder Entscheidungen

Insgesamt stellte sich zu diesem Zeitpunkt also die Frage, wie es weitergehen kann. Denn, auch wenn der Schub vorbei ist, Hufrehe ist nicht heilbar. Und der Regenerationsprozess ist ein langer, schwer kalkulierbarer Drahtseilakt zwischen „zu viel“, „zu wenig“, „richtig“ und „falsch“. So verursacht zum Beispiel zu wenig Bewegung eine schlechte Durchblutung des Hufes. Daraus resultiert wiederum schlechtes Hornwachstum. Ganz abgesehen von den anderweitigen körperlichen und psychischen Auswirkungen für ein Pferd.

Das Rehepferd im Schritt zu führen, wird ebenfalls kritisch gesehen. Denn dadurch belastet man eventuell mehr, als das Pferd von sich aus anbieten würde. Stellt man es allerdings auf ein Paddock, könnte es sich dort durch Übermut und schnelle Drehungen und Bocksprünge weiteren Schaden zufügen.

Da meine Goldy dazu neigt, selbst auf winzigen Paddocks mit den ruhigsten Nachbarn unentwegt zu bocken, zu steigen und zu rennen, habe ich mich letztlich doch für geführte Bewegung entschieden. Wir begannen mit fünf Minuten im weichen Sand der Reithalle und steigerten uns ganz langsam. Dabei bleibt der Strick lang und Goldy macht von sich aus die Pausen, die sie möchte. An manchen Tagen bietet sie mehr an, an manchen weniger. Danach richten wir uns und bisher scheint das der für uns passende Weg zu sein.

Neuer Rehebeschlag

Auf Anraten von Schmied und Tierarzt sind wir im März 2019 bei ungefähr 30-40 Minuten geführter Bewegung pro Tag angekommen. Harte Böden vermeiden wir weiterhin komplett, an wärmeren Tagen gehen wir aber wieder nach draußen auf den Dressur- oder Springplatz in die Sonne.

Der Rehebeschlag unterstützt sie weiterhin sehr gut, Anfang Oktober wechselten wir zu einem zehenoffenen Eisen (umgedrehtes Eisen) mit einem Metallsteg und einer Polsterung aus Silikon und Leder. Die Zehe schwebt also und die empfindlichen Stellen sind durch den Steg und das Polster geschützt. Wir kommen gänzlich ohne Schmerzmedikation zurecht und neben ihrem täglichen Prascend erhält Goldy nur ein durchblutungsförderndes Mittel und seit kurzem ein rehegeeignetes Mineralfutter, das für eine ausreichende Vitamin- und Mineralstoffzufuhr sorgt.

Anfang Oktober 2018. Zweiter Rehebeschlag mit umgedrehten, zehenoffenen Eisen. Die Zehe schwebt, der Steg unterstützt, Leder und Silikon polstern.

Unser Weg geht weiter

So gehen wir unseren Weg. Die Ungewissheit wird immer bleiben, da es ein „geheilt“ in unserem Fall nicht geben wird. Auch die unterschwellige Besorgnis und Angst wird uns wohl weiter begleiten. Und die ständige Furcht, dass die Ruhe nur trügerisch ist und sich jederzeit alles wieder ins Negative ändern kann. Dies zu akzeptieren und damit zurecht zu kommen ohne mich ständig zu sorgen – das ist ein schwieriger Lernprozess für mich. Vor allem, weil mich häufig das Gefühl umtreibt, der Verantwortung nicht gerecht werden zu können. Und  deshalb vielleicht falsche Entscheidungen zu treffen.

Doch wenn ich meine Goldy ansehe, meine unermüdliche Kämpferin, mein tapferes, stolzes Pony, das sich nicht entmutigen lässt, dann bin ich einfach nur dankbar und glücklich. Glücklich, dass sie trotz alledem noch an meiner Seite ist – es war so unwahrscheinlich. Wohin uns unser Weg führt, das weiß ich nicht. Aber wir gehen ihn zusammen, jeden einzelnen Schritt.

* 25 Jahre alt * Studentin in Hamburg * eigenes Pferd: Haflingerstute ‚Goldy‘ *
Hinterlasse eine Antwort