Gesundheit

Kissing Spines

Inhalt
Definition
Symptome
Diagnose
Ursachen
Behandlung
Prognose
Prophylaxe

Definition

Das Kissing Spines Syndrom, auch TLI – Syndrom (thorakolumbales interspinales Syndrom) bezeichnet:

  • die Annäherung der Dornfortsätze der Rückenwirbel eines Pferdes bis hin zur
  • direkten Berührung (=“kissing“) oder sogar
  • Überlappungen („overriding spines“).

Alle Formen können von Knochenreaktionen (Sklerosierungen) begleitet sein.

Ebenso können im Ansatzbereich der Sehnen und Bänder an den Dornfortsätzen Zysten oder zystenartige Veränderungen entstehen und es kann zu Knochenreaktionen in der Mitte der Dornfortsätze kommen. Am häufigsten treten Kissing Spines in dem Bereich vom 10. bis 18. Brustwirbel auf. Lendenwirbel können ebenfalls betroffen sein.

Die Brustwirbel des Pferdes sind besonders beweglich und sie haben besonders lange Dornfortsätze. Dieser Bereich ist gerade bei Reitpferden durch die Brückenkonstruktion der Wirbelsäule besonderen Belastungen ausgesetzt.

Schwache Rücken (- und bauch)muskulatur und dauerhaftes nicht „über den Rücken reiten“ führen dazu, dass ein Pferd den Rücken „wegdrückt“ (entspricht der Vorstellung eines Hohlkreuzes), statt ihn aufzuwölben.

In der abgesenkten Haltung des Rückens nähern sich die Dornfortsätze einander an. Chronifiziert dieses Geschehen, kommt es zu entzündlichen Prozessen zwischen den Wirbeln und den oben genannten, für das Pferd sehr schmerzhaften, Veränderungen.

Symptome

Die Symptome des Kissing Spines Syndrom können unglaublich vielfältig sein und es ist nicht möglich, die konkrete Diagnose aufgrund des klinischen Bildes (also der sich zeigenden Auffälligkeiten) zu stellen. Folgende Probleme können auftreten:

  • Unmut und Abwehr bereits beim Putzen des Rückens
  • häufig angelegte Ohren, Pferd neigt zum Beißen
  • Unmut beim Satteln
  • Unmut beim Aufsitzen des Reiters, Pferd drückt dabei den Rücken durch
  • Neigung zu  Sattelzwang
  • Pferd geht unklar lahm
  • Taktfehler im Trab
  • Zügellahmheit
  • Neigung zu passartigem Gehen im Schritt
  • der klare Dreitakt im Galopp geht verloren, Pferd neigt zum Vierschlag
  • häufiges Umspringen in den Kreuzgalopp
  • die Übergänge zwischen den Gangarten werden stockend
  • Losgelassenheit wird in keiner Phase des Trainings mehr erreicht
  • beim Springen häufen sich die Probleme in Kombinationen, Pferd neigt zu Hinterhandfehlern
  • oft ein pinselnder Schweif
  • schiefe Schweifhaltung
  • generell gesteigerte Unlust beim Reiten, alles erfordert mehr „Druck“ durch den Reiter
  • Widersetzlichkeiten und Untugenden können sich entwickeln: Pferd beginnt zu bocken, es entzieht sich der Vorwärtsbewegung bis hin zum Steigen
  • im fortgeschrittenen Stadium: die Rückenmuskulatur baut sichtbar ab

Diagnose

Klinisch:

Der gesamte Rücken wird in Ruhe (am stehenden Pferd) genauestens inspiziert. Die Muskulatur zeigt bei Palpation (Abtasten, Streichen, Eindrücken im Verlauf und quer zur Muskelfaser) lokale und/oder generelle Schmerzempfindlichkeit. Der Muskeltonus ist erhöht, d. h. die  Muskulatur ist verhärtet, zieht sich bei Berührung und Druck oft ruckartig zusammen.

Eine Erhabenheit bestimmter Areale der Wirbelsäule ist möglich. Diese entsteht oft durch Verdickung  des Dornfortsatzbandes (ligamentum supraspinale), das der Stabilität dient.

Das Pferd sollte auch frei in der Bewegung beurteilt werden. Ebenso an der Longe mit Gurt oder Sattel. Hier zeigen die Pferde ihre Probleme mit der Längsbiegung, sie vermeiden diese und „legen sich stattdessen in die Kurve“. Sie können Gleichgewichtsprobleme zeigen.

Auch unter dem Reiter sollte eine Beurteilung erfolgen, um die Symptome von anderen möglichen Ursachen besser abgrenzen zu können und den Einfluss des Reiters auf das Geschehen einschätzen zu können.

Röntgen:

Qualitativ hochwertige Röntgenbilder der Wirbelsäule sind eine Grundvoraussetzung für die korrekte Diagnose. Die Dornfortsätze müssen in ihrer ganzen Größe sichtbar sein, ebenso die tiefer liegenden Facettengelenke. Denn auch diese können betroffen sein.

Auch braucht es den geschulten Blick eines Pferdefachtierarztes für die Bewertung der Bilder. Denn zum Beispiel sind die Zwischenräume der Dornfortsätze physiologisch (d. h. beim gesunden Pferd) unterschiedlich groß – im Brustbereich größer – , sie sind in ihrer Stärke unterschiedlich ausgeprägt, sie ändern ihre Richtung beim 15. Brustwirbel usw. Der Übergang vom 6. Lendenwirbels zum Kreuzbein kann von Pferd zu Pferd variieren. All dies muss in die korrekte Bewertung mit einbezogen werden und erfordert ein gewisses Maß an Routine.

In der Bewertung der Schwere der Erkrankung anhand der Röntgenbilder unterscheidet der Mediziner 3 Grade (nach Petersson). Allerdings ist in der Tier – (und in der Human)medizin auch bekannt, dass der Schweregrad nicht gleich dem Schmerzgrad ist. Das heißt, ein Pferd mit Grad I Röntgenbild kann stärkere Schmerzen und Symptome zeigen als eines mit Grad III Bildern!

Schmerzen sind bei allen Lebewesen eine subjektive Sinnesempfindung. Schmerzwahrnehmung und Verarbeitung hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Dazu gehören zum Beispiel das Alter und Geschlecht, die allgemeine Konstitution, bereits erfahrener Schmerz und auch die Tageszeit (Biorhythmus, circadianer Rhythmus, Organuhr).

Ursachen

Die Entstehung von Kissing Spines kann verschiedene Ursachen haben. Die Anatomie und die Belastung des Pferdes spielt dabei eine große Rolle.

  • eine angeborene Engstellung der Wirbel und Dornfortsätze ist möglich
  • Pferde mit einem Senkrücken neigen bei nicht rückengerechtem Training eher zu der Erkrankung
  • zu frühe und nicht fachgerechte Ausbildung
  • Überlastung bei noch nicht genügend ausgeprägter Rückenmuskulatur
  • Reiterfehler über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel fehlendes ehrliches Vorwärts-Abwärts, kein Aufwölben des Rückens, zu harte Hand, zu enges Ausbinden

Behandlung

Ziel ist es, das erkrankte Pferd von seinen Schmerzen zu befreien und seine Eignung als Reitpferd wieder herzustellen. Zu  Beginn wird dies mit entzündungshemmenden Mitteln unterstützt. Gehen die Entzündungsreaktionen zurück, können auch  die verhärteten Muskeln sich wieder entspannen.

Physikalische Hilfe können bieten:

  • Wärmebehandlungen, Pferdesolarium
  • Stoßwellen
  • Lasertherapie, Magnetfeldtherapie
  • Osteopathie

Ein guter Pferdeosteopath sollte in jedem Fall hinzugezogen werden, um dem Pferd Erleichterung zu verschaffen. Er wird auch dem Besitzer/Reiter Übungen an die Hand geben, um die Mobilität wieder herzustellen. Ebenso wird die Körperwahrnehmung von Pferd UND Reiter verbessert, was eine sehr sinnvolle Prophylaxe darstellt.

Massageanwendungen eignen sich ebenfalls sehr gut zur Unterstützung.

Operation

Die Medizin kennt auch verschiedene Operationsmethoden. Ein Eingriff sollte nur nach  reiflicher Überlegung und intensivsten Voruntersuchungen in Betracht kommen, nachdem sämtliche oben genannten konservativen Verfahren erfolglos geblieben sind. Denn jeder Eingriff birgt wieder neue operationsbezogene Risiken von Verletzungen. (z. B. Nervenverletzungen, Entzündungen)

Es wird inzwischen mit minimal invasiven Techniken schonend vorgegangen. Bei dem Verfahren nach Coomer wird ein Schnitt in die Zwischendornfortsatzbänder gesetzt. So wird eine Entspannung der Muskulatur herbeigeführt, was wiederum mehr Platz für die Dornfortsätze schafft.

Ein weiteres Verfahren mit offener Operation wird ebenfalls angewandt. Hierbei werden Teile der Dornfortsätze abgetragen und ggf. körpereigenes Fett als Schutzschicht eingebracht.

Ganz klar muss sein: Es braucht Veränderung. 

Das Pferd kann auf keinen Fall so weiter geritten werden wie bisher. Der Reiter muss verstehen, dass für sein Pferd ungesundes Reiten über einen längeren Zeitraum die Schmerzen und Veränderungen hervorgebracht hat.

Das Pferd muss wieder lernen, unter dem Reitergewicht seinen Rücken aufzuwölben und sich loszulassen. Je nach Stärke des Schmerztraumas nimmt dies längere Zeit in Anspruch. Starke, gesunde Muskulatur muss sich aufbauen. Das ist die Grundlage dafür, dass es wieder ohne Schmerzen geritten werden kann.

Weitere Faktoren, die überprüft und ggf. neu angepasst werden müssen:

  • Stellung der Hufe, korrekter Beschlag (es kann nötig sein, den Schmied zu wechseln)
  • die Ausrüstung des Pferdes muss passen (ein guter Sattler sollte den Prozess des Wiederaufbaus der Rückenmuskulatur in regelmäßigen Abständen begleiten und nötige Anpassungen vornehmen)
  • Der Reiter muss selbstkritisch hinterfragen, welchen Beitrag er leisten kann/sollte und an sich und seinen theoretischen Wissensgrundlagen über die Bewegungs- und Trainingslehre arbeiten. Es kann notwendig sein,  eventuelle Sitzprobleme anzugehen (Sitzschulungen an der Longe sind ein Weg, um unabhängig von der Hand und elastisch sitzen zu lernen)
  • Ein einfühlsamer, erfahrener Trainer sollte den Prozess begleiten. Ggf. hilft qualifizierter Beritt bei der Umstellung des Trainings, dem Wiedererlangen der Losgelassenheit und dem Wiederaufbau der Rückenmuskulatur.

Prognose

Die Heilungschancen sind in Abhängigkeit vom Schweregrad und der ehrlichen Bereitschaft zur Veränderung zu sehen. Eine weitere Eignung als Reitpferd und auch Turniereinsätze sind mit Geduld und Fachverstand in der Rehabilitationsphase durchaus wieder zu erreichen.

Prophylaxe

Eine gute Ausbildung von Pferd und Reiter sind die bestmögliche Vorbeugung. Wird das Pferd pferdegerecht ausgebildet,  (dies gilt reitweisenübergreifend!), lernt es, sich auszubalancieren. Es wird schonend geradegerichtet, kann so unter den Schwerpunkt arbeiten, die Vorhand entlasten und lernen, den Rücken aufzuwölben. Gleichmäßige Gymnastizierung auf  beiden Händen und ein gesunder Wechsel von Anspannung und Entspannung mit reellen Vorwärts-Abwärts Passagen erhalten die Grundgesundheit des Reitpferdes.

Größe, Gewicht und die reiterlichen Fähigkeiten des Reiters tragen zur Pferdegesundheit bei. Das Verhältnis muss „stimmen“.  Werden Pferde regelmäßig von schwächeren oder lernenden Reitern geritten, sind Korrekturberitt und Entspannungsphasen an der Longe u. Ä. ein wichtiger Beitrag zur Gesunderhaltung.

Regelmäßige Kontrollen durch einen Pferdeosteopathen sind sehr zu empfehlen. Auch genießen Pferde medizinische Massagen ebenso wie Menschen und zur Lockerung und Durchblutungsförderung und somit gezielter Prophylaxe sind sie sehr hilfreich.

 

Die von dem Reitsportmagazin Hufglück angebotenen Inhalte über Pferdekrankheiten dienen ausschließlich der Information der Pferdebesitzer und Reiter. Sie ersetzen in keinem Fall die Untersuchung und Diagnose durch einen Tierarzt.
* Pferdewirtschaftsmeisterin * Reitlehrerin FN * lebt in Portugal *