Wenn ich auf Facebook-Seiten oder in Zeitschriften so tolle Berichte lese über Reiter, die sich absolut auf ihr Pferd verlassen können, bin ich schon ein bisschen neidisch. Vor allem, wenn ich sie im Gelände sehe, am besten noch ohne jegliche Ausrüstung, mit wehendem Haar und dann noch ein paar märchenhafte Fotos dazu. Und ich denk nur: ich will auch! Aber wie?
Klar, man sagt mit Übung klappt alles irgendwann besser, aber ich habe mit meiner Hafistute die Erfahrung gemacht: Ausreiten kann gut gehen, muss aber nicht. Gar nicht mal, weil sie besonders schreckhaft ist, aber wenn sie einen Rappel bekommt, dann kann sie durchgehen. Und zwar vollkommen kopflos, inklusive Rodeo.
Als ich mich früher noch einigermaßen getraut habe, dem Pferd zuliebe, ins Gelände zu reiten, ging das manchmal auch gut. Mit mehr Glück als Verstand wahrscheinlich, aber manchmal eben auch nicht. Und da ich es überhaupt nicht vorhersehen konnte, hab ich meinem Pony im Gelände schlichtweg irgendwann nicht mehr vertraut.
Brauche ich denn immer 100 % Vertrauen?
Kann es in einer gesunden Pferd-Mensch-Beziehung auch Dinge geben, wo man sagt: Hey, ich kenn mein Pferd, ich vertrau ihm in dem Moment vielleicht nur zu 60 % und gehe dann lieber nicht auf Risiko. Und es ist OK so für mich?
Ich hab für mich entschieden, eine Alternative zu wählen. Statt ins Gelände zu reiten, gehen wir regelmäßig zusammen spazieren.
Klar, die „wir-haben-Flügel-und-fliegen-gemeinsam-durch-die-Gegend“-Momente erleben wir dann nicht (außer ich habe einen besonders sportlichen Tag und renne mit meinem Pferd und ausgebreiteten Armen übers Stoppelfeld), aber ich bin damit zufrieden. Denn ich fühle mich sicher und wohl und mein Pony kommt raus in die Natur.
Wenn ich dann aber die zuvor erwähnten beneidenswerten Bilder sehe von Reitern, die teilweise ohne Sattel und Trense mit ihrem Pferd im Gelände herumreiten, frag ich mich schon manchmal: Mach ich mir das einfach zu leicht und gehe meinem Problem aus dem Weg? Dann denke ich, dass unser Vertrauensverhältnis nicht so ‚vollkommen‘ ist wie bei anderen.
Es geht aber auch anders: Zum Beispiel kann ich mich auf einem vollen Abreiteplatz in Turnieratmosphäre total auf sie verlassen. Sie ist ein bisschen aufgeregt, wie ich auch, aber wird mit jeder Minute entspannter. Muss ich mich jetzt verpflichtet fühlen, unser Vertrauen aufs Optimum auszubauen?
Wie das Vertrauen verloren gehen kann
Noch schlimmer, als von Anfang an Situationen zu haben, wo ich meinem Pferd nicht 100 % vertraue, finde ich es, wenn im Reitalltag das Vertrauen plötzlich bröckelt. Das hatte ich neulich. Bei meinem Pony hat sich so eine Buckelphase eingeschlichen, und zwar eine ganz gemeine.
Wir hatten in der Zeit eigentlich einen richtig guten Trainings-Flow. Das Pony lief echt klasse und wir konnten gut an verschiedenen Dingen arbeiten. Aber dann, ohne Vorwarnung, aus einem entspannten Überstreichen im Trab zum Beispiel, kam ein Losrennen, ein Buckler, der zweite Buckler, dann stehen bleiben und den Reiter im Sand beschnuppern.
Beim ersten Mal war ich so unvorbereitet, da hats mich sofort runter gehauen. Ich war zwar ein bisschen überrascht, aber der Freiflug war erstmal nicht weiter schlimm. Nachdem das aber von dem Tag an nun jeden Tag so weiter ging, hab ich doch angefangen, mir Gedanken zu machen. Ich flog zwar nicht mehr, dennoch war es nervig, ein Pferd unter sich zu haben, das plötzlich, aus dem Nichts heraus, beschließt loszurennen.
Irgendwann hörte es glücklicherweise wieder auf – für ein bis zwei Wochen. Dann ging es von vorne los, diesmal mit abrupter 90 Grad Kehrtwendung und Beschleunigung von 0 auf 100. Ich musste im Bruchteil einer Sekunde reagieren, ansonsten war es reine Glückssache, ob ich oben blieb.
Beim ersten Mal saß ich natürlich wieder im Dreck (3 Jahre gar nicht vom Pony gefallen und dann innerhalb von 3 Wochen gleich zweimal, ganz toll). Da merkte ich schon, dass ich mich langsam nicht mehr wohlfühlte. Das nutzte das Pony natürlich und machte grad so weiter. Das Schlimme war, ich konnte mich absolut nicht darauf einstellen oder vorbereiten.
Denn mein Hafi war weder angespannt, noch hibbelig oder hat die Arbeit generell verweigert. Im Gegenteil, es lief immer vorher richtig gut. Doch dann nutzte sie ein vorbei kommendes anderes Pferd, ein Geräusch oder auch einfach ein riesengroßes Nichts und beschloss, durchzugehen.
Wenn sich ein ungutes Gefühl im Sattel breit macht
Dadurch wurde mein Gefühl natürlich nicht besser. Irgendwann traute ich mich nur noch mit einer Begleitung in die Reithalle (als ob eine Person, die dabei steht, irgendetwas tun könnte; aber es war mentale Unterstützung für mich). So zwang ich mich zu reiten, obwohl ich lieber longiert hätte. Ich beschränkte aber meine Reitbahn auf einen Zirkel, wo das Pony meiner Meinung nach die wenigsten Geräusche hörte, und ‚zog‘ reflexartig bei jedem Geräusch an den Zügeln, um irgendwie das vermeintliche Losrennen zu verhindern.
Ich ärgerte mich wahnsinnig über die Situation, weil ich die Ursache nicht erkannte, und dem Pony mit meinen Reaktionen auch nicht geholfen war. Außerdem schränkte mich die Unsicherheit total im Training ein.
Während ich versuchte, das verkrampfte Gefühl einfach zu ignorieren und so gut es ging zu überreiten, grübelte ich ununterbrochen, wie ich die Sache lösen könnte. So konnte es ja nicht weitergehen. Irgendwann bin ich zu dem mutmaßlichen Ergebnis gekommen, dass ihr Verhalten eine Mischung aus zu viel Energie (es war zwar schon März ,aber noch richtig saukalt) und ihrem Erfolgserlebnis, mich in den Sand gesetzt zu haben, sein müsste. So war sie leider schon zu ihren Schulpferdezeiten in Verruf geraten.
Ein Lösungsversuch
Ich beschloss, sie an der Longe durch viel, sehr viel Galopparbeit mal richtig auszupowern. In der Hoffnung, dass sie danach ausgeglichener ist und erstmal nicht mehr auf dumme Gedanken kommt. Gesagt, getan.
Ich glaube, so viel musste Pony noch nie galoppieren (aber immer geregelt und ‚arbeitend‘). Und siehe da: Die zwei Tage danach, an denen ich geritten bin, liefen problemlos ab. Ich habe mich von Anfang an wieder sicherer gefühlt und bin auch ohne mentale Unterstützung geritten.
Ich merkte zwar, dass ich mich noch zwingen musste, nicht wieder daran zu denken ’sie könnte ja‘, aber die grundlegende Unsicherheit war weg. Wenn ich also einfach reite, mein Pferd (und mich) mit vielen, vielen Übungen beschäftige, ohne großartig über Geräusche und Geister nachzudenken, werde ich automatisch sicherer. Was natürlich auch das Pferd spürt und spiegelt.
Neue Sicherheit – dann ein Rückschlag
Bis hier sind die beschriebenen Ereignisse schon ein paar Wochen her. In dieser Zeit war erfreulicherweise nichts weiter vorgefallen und wir konnten uns wieder in das übliche Training einfinden – bis gestern.
Ich dachte wirklich, diese Eskapaden waren nur eine Phase, die nun endlich vorbei ist. Tja, denkste. Es lief gestern erst wirklich gut, bis zu den letzten 15 Minuten der Arbeitsphase. In der Galopparbeit fing mein Pony gerade an, mehr Last mit der Hinterhand aufzunehmen. Ich konnte mit weicher Zügelführung reiten und kam zum Sitzen. Hat sich wirklich toll angefühlt.
Dann, ganz plötzlich, dasselbe Spiel wie vor ein paar Wochen: im traumhaften Arbeitsgalopp plötzlich den Rücken so weggedrückt, dass ich kein Pferd mehr unter dem Hintern hatte. Nach innen ausgebrochen, los geprescht und ordentliche Buckler losgelassen.
Meine Bügel und Zügel flogen nur so durch die Gegend und ich hing schon ziemlich auf halb 8, konnte mich aber gerade noch mit den Beinen festklammern (Wadenkrampf inklusive). Hafi blieb dann stehen, aber ich kann nicht mehr sagen, ob ich dafür gesorgt habe, oder sie von alleine stehen geblieben ist.
Nach diesem Schreck war ich dann doch sauer, dass es schon wieder losgeht. Ich hab mich kurz sortiert und beschlossen, sofort wieder zu galoppieren. Doch nach ein paar Sprüngen geschah dasselbe wieder. Und noch einmal konnte ich mich trotz Wadenkrampf festklammern.
Mein Pony hatte danach zwar einen spektakulären ‚ich-bin-ein-Dressurpony‘ Trab drauf, aber war doch etwas zu sehr unter Spannung.
Wieder Ratlosigkeit – was läuft schief?
Die Unsicherheit kam in diesem Moment zwar noch nicht ganz zurück, aber ich war mir nicht sicher, wie ich die Situation lösen sollte. Durchsetzen ja, aber zu viel kann auch ordentlich schiefgehen. Ich entschied mich für ein paar Minuten Voltenarbeit im Trab und hab dann das Training beendet. Ein weiteres Fordern im Galopp hätte möglicherweise noch mehr Spannung erzeugt, anstatt eine ‚Zurechtweisung‘ zu bewirken.
Jetzt bin ich als Reiter ratlos. Was genau ist der Grund? Wie löst man das Problem? Da es ja scheinbar doch nicht nur eine Phase und das Problem eben noch nicht gelöst war. Ich persönlich fühle mich hierbei im Zwiespalt, ob ich etwas Grundlegendes falsch mache, das ich vielleicht selbst nicht merke, oder ob hier alte Schulpferdegewohnheiten durchkommen. Nämlich wie man anstrengende Arbeit umgehen kann.
Natürlich will ich für mein Pferd das Beste und mögliche Unzufriedenheit aus der Welt schaffen. Andererseits aber möchte ich auch nicht laufend in diese ‚von-0-auf-100-los-preschen-Situationen‘ geraten, die zum einen echt unangenehm sind und natürlich auch eine gewisse Verletzungsgefahr mit sich bringen. Um hier den richtigen Ansatz für eine dauerhafte Lösung zu finden, werde ich mir Meinungen und Tipps einholen und weiterhin versuchen, immer wieder so unvoreingenommen wie möglich auf mein Pferd zu steigen.
Fortsetzung folgt.
2 Kommentare
Beim Lesen kamen mir folgende Gedanken:
– Möglicherweise hat Dein Hafi Probleme mit dem Rücken?
Würde ich vom Tierarzt oder Chiropraktiker abklären lassen, zur Sicherheit.
– Hast Du jemanden, der Dir beim Reiten handfeste Tipps oder Unterricht gibt?
Evtl. testet dein Hafi dich „nur“ und kommt damit durch. Vielleicht liegts an deiner Art zu reiten oder dich vorsorglich schon mal zu verkrampfen? Gerade bei letzterem spiegelt das Tier unter Dir evtl. nur Deine Unruhe und wehrt sich?
– Würde auf jeden Fall Bodenarbeit zum Aufbau von mehr Vertrauen machen – langfristig. Dabei lernt ihr euch beide richtig gut kennen, von unten. Bringt mehr als spazierengehen.
– Falls sie auf der Weide zusammen mit anderen Pferden laufen darf, setz Dich mal einen halben oder ganzen Tag an den Rand und beobachte, wie sich verhält, was sie wie tut. Das ist auf Dauer echt spannend.
Hallo Silke,
Dein Kommentar zeigt, dass Du richtig eingestiegen bist in Lisas Situation und Du gibst fachlich fundierte und hilfreiche Hinweise.
Vielen Dank dafür, das ist richtig toll!
Inzwischen ist Lisa auch ein Stück weiter gekommen, sie lässt den Rücken von einem Therapeuten checken und auch noch einmal den Sattel.
Zu Deiner Frage, ob sie Unterstützung hat: Wir haben gemeinsam in einem online Coaching die Gesamtsituation noch einmal genau beleuchtet.
Dazu gehörte auch, herauszufinden, welche hierarchische Position die Stute in einer Gruppe einnimmt, oder inwieweit Lisa sich bewusst ist, dass ihr eigenes vorausschauendes Verhalten eine Stresssituation mit hervorrufen kann. Diese Gedankengänge hast Du ja auch gehabt.
Weiterhin habe ich die Vermutung, dass durch den Einstieg in die versammelnde Arbeit Spannungen aufgekommen sind. Ich kenne die beiden aus Lehrgängen und aufgrund der Anatomie des Rückens der Stute ist es unabdingbar, dass sie zu Beginn die vermehrte Lastaufnahme der Hinterhand und daraus folgende Aufrichtung nur in extrem kurzen Reprisen von ihr einfordert. Bei Erfolg sofort ausgiebig lobt und über Zügel-aus-der-Hand kauen lassen eine maximale Dehnungshaltung zulässt (aber auch von der Stute verlangt!).
Phasen am hingegebenen Zügel sollen dann folgen, um sowohl der Muskulatur als auch der Psyche ein Ausruhen zu ermöglichen. Nur ganz langsam soll sie diese Reprisen verlängern und das Training weiter aufbauen. Das heißt, diesem Ausbrechen aus dem Spannungsbogen aus eventueller Überlastung (oder aber auch einem möglichen Ziehen im Rücken heraus) soll zuvorgekommen werden. Und die kleinsten Fortschritte unbedingt positiv verstärken.
Außerdem sind wir noch einmal auf die Skala der Ausbildung und besonders die Bedeutung der Geraderichtung für die beginnende Versammlung eingegangen.
So schauen wir, dass sich die benötigte stabilisierende Bauch- und Rückenmuskulatur auf beiden Händen gleichmäßig weiter aufbauen kann und sich das Vertrauensverhältnis der beiden wieder stabilisiert.
Liebe Grüsse, Katrin Albrecht